Viele Leute vergleichen Sie mit Alain Prost. Erkennen Sie auch Ähnlichkeiten?
Piastri: Es ist ein Vergleich, der mich ehrt, vor allem weil Alain Prost einer der erfolgreichsten Fahrer in unserem Sport war. Natürlich war ich noch gar am Leben als er gefahren ist und habe deshalb auch nicht das ganze Bild, aber von dem, was ich höre oder lese über ihn, sehe ich tatsächlich einige Ähnlichkeiten zwischen uns beiden. Prost hatte einen sehr weichen und runden Fahrstil. Er war sehr präzise in seiner Arbeit. Das kann ich an mir auch erkennen.
Unsere Highlights
Kennen Sie ihn persönlich?
Piastri: Ja, ich habe mit ihm einige Male gesprochen, als ich noch bei Alpine war. Es war unheimlich interessant, mich mit ihm zu unterhalten, und er hat mir auch ein paar Tipps gegeben.
Wilhelm
Oscar Piastri hatte in seiner bisherigen Formel-1-Karriere nur wenige Unfälle.
Prost hatte in seiner Karriere sehr wenig Unfälle. Das trifft auch auf Sie zu. Er hat das damit begründet, dass er immer nur 99,9 Prozent gefahren ist. Wie ist das bei Ihnen?
Piastri: Nicht ganz so. In unserer Zeit musst du immer am Limit fahren. Das hängt sicher auch mit den Autos zusammen. Zu der Zeit, in der Prost gefahren ist, waren die Autos weniger zuverlässig und nicht so sicher. Übers Limit zu gehen hatte damals viel größere Konsequenzen als heute. Unsere Autos sind schon ein bisschen stabiler gebaut. Trotzdem solltest du nicht jede Runde voll über die Randsteine räubern. Heute geht es darum, das Limit genau zu treffen. Wenn du ein Zehntel drunter bleibst, bist zu langsam. Gehst du drüber, bestrafen dich die Reifen. Es ist ein schmaler Grat.
Sie wurden in den Nachwuchsklassen drei Mal Meister in Folge, mussten dann aber vor Ihrem Formel-1-Debüt ein Jahr Pause einlegen. War es im Rückblick für Ihre Entwicklung besser?
Piastri: Rennen fahren wäre besser gewesen. Es gibt kein Umfeld, in dem du dich besser vorbereiten kannst. In meinem Testjahr habe ich hauptsächlich viel über die Welt der Formel 1 außerhalb des Cockpits gelernt, mehr als ich erwartet habe. Ich habe verstanden, dass man schnell mal unter die Räder kommen kann. Aber auch nützliche Dinge, wie man sich vom Kopf her auf die Rennen vorbereitet. Ich war bei Alpine ja bei allen Meetings dabei. Da habe ich gesehen, dass sich das schon von der mentalen Einstellung her nicht mit den Nachwuchsklassen vergleichen lässt. Es ist ein anderes Spielfeld, wenn die Entwicklung des Autos dazukommt. In der Formel 3 oder 2 musst du mit dem Auto arbeiten, das man dir hinstellt. Das in mich aufzusaugen ohne den Druck gleichzeitig Rennen fahren zu müssen, war sicher wertvoll. Aber wenn ich heute noch einmal die Wahl hätte, hätte ich nach der Formel 2 lieber direkt weitergemacht.
Sie sprechen es schon an. Ihr Wechsel von Alpine zu McLaren hat damals viel Staub aufgewirbelt. Alle haben gesagt: Wenn er so etwas durchzieht, muss er Leistung zeigen. Habe Sie diesen Druck gespürt?
Piastri: Nicht wirklich. Ich stand nach meinen Erfolgen in den Nachwuchsklassen sowieso unter Erfolgsdruck. Der mediale Sturm nach dem Teamwechsel hat das noch mehr in Erinnerung gerückt, aber ich hatte nie das Gefühl, dass ich jetzt auf der Rennstrecke beweisen muss, dass meine Entscheidung richtig war. Eher, dass ich in die Formel 1 gehöre. Der Prozess, der zu meiner Entscheidung geführt hat, war viel komplizierter als sich nur für ein Team und gegen ein anderes zu entscheiden. Das eine Team konnte mir weder Klarheit noch Antworten auf meine Fragen geben, das andere konnte es. Natürlich hat mich auch die Historie von McLaren angezogen, und ich hatte auch gleich das Gefühl, dass ich da in ein Team komme, dass erfolgreich sein wird. Ich hätte mir aber nie träumen lassen, dass es so schnell geht und dass wir so wettbewerbsfähig sein werden, wie wir es jetzt sind. Als ich vor 18 Monaten zu McLaren kam, waren wir nahezu Letzter. Jetzt haben wir alles auf den Kopf gestellt. Nicht nur, weil das Auto besser wurde. Da Team hat mir geholfen, mich zu verbessern. Vor zwölf Monaten wären Resultate wie dieses Jahr nicht möglich gewesen.
xpb
Den Sieg in Baku bezeichnete Piastri als den besten in seiner Karriere.
Sie sprechen von Ihrem Sieg in Baku?
Piastri: Zum Beispiel. Es war der beste Sieg meiner Karriere. Als Charles [Leclerc] im ersten Stint davonzog, hätte ich nie daran gedacht, das Rennen zu gewinnen. Der zweite Platz erschien mir das bestmögliche Ergebnis. Nach dem Boxenstopp sah ich eine Halb-Chance in Führung zu gehen. Ich hatte für ein paar Runden mehr Grip und wusste: Wenn ich ihn jetzt nicht überhole, klappt es nie. Das Überholmanöver hat 40 Prozent des Sieges ausgemacht, die Verteidigung der Führung über 35 Runden die restlichen 60 Prozent. Der erste Versuch Charles auf den Medium-Reifen zu überholen war schiefgegangen. Ich habe dabei die Reifen heiß gekocht. Mein Renningenieur warnte mich: Mach das nie wieder. Leider musste ich beim zweiten Mal seine Warnung in den Wind schlagen. Es war knapp. Ich dachte schon, ich lande in der Auslaufzone, habe es aber irgendwie hingekriegt.
Sie haben die meisten Punkte aus den letzten neun Rennen geholt. Bedauern Sie, dass Sie am Anfang zu viele Punkte verloren haben?
Piastri: Ich halte nichts von solchen Rechenspielen. Irgendein anderer Fahrer hat wahrscheinlich die meisten Punkte aus den letzten acht oder den letzten zehn Rennen geholt. Jeder kann sich da das Ergebnis rausholen, das ihn gut aussehen lässt. Was zählt, ist das Jetzt. McLaren gibt mir ein Auto, das überall sehr schnell ist. Und wenn es mal nicht das schnellste Auto ist wie in Baku, dann gibt es dir immer noch die Chance zu gewinnen, wenn das Team und du alles richtig machen.
Woran müssen Sie noch arbeiten?
Piastri: An meinen Qualifikationsergebnissen. Ich bin nie weit weg von Lando, aber ich bin nicht konstant genug. Es fehlt nicht am Speed. Ich weiß, dass ich überall auf die Pole-Position fahren kann, wenn ich die Runde richtig zusammen bringe. In Singapur war ich im letzten Sektor zu hart auf dem Gas.
Was war im Rückblick der schwierigste Teil des Lernprozesses?
Piastri: In den Nachwuchsklassen fährst du gegen Leute, die mehr oder weniger so alt sind wie du selbst, und deshalb haben auch alle ungefähr die gleiche Erfahrung. In der Formel 2 haben ein paar vielleicht eine Saison Vorsprung, einige wenige zwei. In der Formel 1 ist das ganz anders. Als ich zu McLaren kam, war Lando schon in seiner fünften Saison. Und er ist immer noch einer der jüngsten Fahrer im Feld. Dann fährst du aber auch gegen Leute wie Fernando [Alonso], deren Karriere länger ist als mein ganzes Leben. Es hat eine Weile gedauert, um zu begreifen, wie viel diese Erfahrung wert ist. Speziell auf die Technik gemünzt sind es die Reifen. Das ist eine ganz andere Dimension als in der Formel 2.
Inwiefern?
Piastri: Es dauert bist du weißt, wie du das meiste aus ihnen herausholst und wie du sie über die Distanz schonst. Auch das hat viel mit Erfahrung zu tun. Es gibt keine Abkürzung, das zu lernen. Du musst damit fahren, um es Stück für Stück zu begreifen. Und es ist so einfach, es falsch zu machen. Es gab einige Rennen, wo ich mir am Ende sagen musste, dass ich es nicht hingekriegt habe und dass ich herausfinden muss, wo der Fehler lag.
xpb
In Monza musste sich Piastri trotz besserer Pace dem Einstopper Charles Leclerc geschlagen geben.
Haben Sie das jetzt im Griff?
Piastri: Ich glaube, ja. Es gab dieses Jahr einige Rennstrecken, auf denen ich letztes Jahr mit dem Reifenmanagement große Probleme hatte und dieses Jahr viel besser aufgestellt war. Es gibt da keine einheitlichen Regeln. Die Reifen benehmen sich von Strecke zu Strecke verschieden, und diese Datenbank muss man erst einmal aufbauen. Ich habe jetzt ein besseres Verständnis für die Reifen, wenn auch noch kein perfektes. Mit den Reifen lernst du nie aus.
Hätten Sie in Monza sagen können: Ich schaffe es mit diesen Reifen über die Distanz und brauche keinen zweiten Stopp?
Piastri: Im Rückblick hätte ich mich gegen den zweiten Stopp ausgesprochen. Aber zu dem Zeitpunkt des Rennens war es wirklich schwer zu lesen, was man tun soll. Wir haben uns Bilder der Reifen quer durch das Feld angeschaut, und ich hatte in dem Moment die besten Reifen und das geringste Problem mit Körnen. Wir wollten aber einfach das Risiko nicht eingehen, dass der Reifen in den letzten Runden komplett einbricht. Unsere Erfahrungen mit dem Körnen aus den Trainingssitzungen warnten uns davor, diesen Schritt zu tun. Ferrari hatte mit Charles weniger zu verlieren. Sie wären schlimmstenfalls immer Dritter geworden, egal ob sie stoppen oder nicht. Für uns war klar: Der beste Weg, das Rennen zu gewinnen, sind zwei Stopps. Dabei hatten wir auch am wenigsten zu verlieren.
Es wird viel über Stallregie zugunsten von Lando Norris gesprochen. Sind Sie bereit?
Piastri: Das Team will beide Meisterschaften gewinnen. Wenn du schon mal die Gelegenheit dazu hast, darfst du sie nicht verstreichen lassen. Wenn ich nur an mich denke, mag ich keine Stallorder gegen mich. Kein Fahrer mag das. Für deinen eigenen Stolz willst du zeigen, dass du der schnellste Fahrer auf der Strecke bist. Trotzdem werde ich Lando in den letzten Rennen helfen, wenn ich gefragt werde. Er hat die realistischere Chance auf den Titel. Das ist aber kein Blankoscheck. Es muss schon Sinn ergeben, dass ich ihn vorbeilasse. Wir wollen auch die Konstrukteurs-WM gewinnen, und es bringt für dieses Ziel nichts, wenn man mein Rennen opfert, um Lando zu helfen. Wir werden das von Fall zu Fall entscheiden. Baku hat gezeigt, wie wir das bei McLaren regeln. Hätte Lando Perez nach dem ersten Boxenstopp nicht aufgehalten, hätte ich vielleicht nicht gewonnen. Ihm gehört ein Anteil an meinem Sieg.
Sie haben einmal gesagt: Mark Webbers Rückblick ist meine Voraussicht. Wo hilft er Ihnen?
Piastri: Eigentlich überall. Mark hatte eine lange Karriere, und er hat viel erlebt. Er hat Fehler gemacht, vor denen er mich warnt. Er kennt das Leben eines Formel-1-Fahrers und kann mich darauf vorbereiten. Er weiß, wie man sich sein Leben einteilt, um im Rennen topfit zu sein.
Sie sind der fünfte australische GP-Sieger. Wie viel wissen Sie über Alan Jones und Jack Brabham, die Weltmeister Ihres Landes?
Piastri: Ich habe Alan Jones getroffen, und es ehrt mich, dass ich mit meinen Siegen jetzt zu diesem Kreis in der Motorsport-Historie unseres Landes zähle. Es ist cool, einen wie Alan zu kennen. Sir Jack war natürlich für den Motorsport in Australien eine Legende. Es wäre eine große Ehre der nächste Weltmeister nach Jack und Alan zu werden.